Eugen Richter
1838-1906







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Eugen Richter gegen den Kulturkampf
 


Reichstag, 25. November 1871

 
 
 

Meine Herren! Ich kann nicht für das vorliegende Gesetz stimmen, und um nicht in meinen Ansichten und Absichten mißverstanden zu werden, welche mich zwingen, von der Mehrzahl meiner politischen Freunde in dieser Frage mich zu trennen, muß ich die Gründe, die mich bestimmen, kurz darlegen. Ich zweifle nicht daran, daß alle meine politischen Freunde, viel lieber, als daß sie diesem Gesetze zustimmen, dafür stimmen würden, daß alle Paragraphen der Gesetzgebung, welche sogenannten Geistlichen exemte Stellungen einräumen, aufgehoben werden. Wenn gleichwohl Anträge in dieser Richtung nicht eingebracht werden, so geschieht es aus dem Grunde, weil man sich einen Erfolg augenblicklich noch nicht von solchen Anträgen verspricht. 

Sind wir also, sagen meine Freunde, augenblicklich nicht in der Lage, diese besonderen erweiterten Rechte, welche die Gesetzgebung dem Geistlichen zuweist, aufzuheben, so wollen wir wenigstens gegenüber dem besonderen erweiterten Rechte auch besonders beschränkende Pflichten auferlegen. Den vielen Privilegia favorabilia gegenüber soll ein privilegium odiosum ihnen auferlegt werden. Es sind also wesentlich praktische Gründe, Gründe der Taktik, welche die Mehrzahl
meiner politischen Freunde diesem Gesetze günstig stimmen. Ebenso aus praktischen Gründen und vorwiegend taktischen Gründen, kann ich dem vorliegenden Gesetze nicht zustimmen. Es ist Bezug genommen worden in den Reden auf die Einsicht und das besondere Verständniß der Abgeordneten aus dem Westen des Reichs in Hinsicht auf die klerikalen Wahlagitationen. Nun, meine Herren, ich bin vom Rhein, und die Herren aus den westlichen Provinzen werden wissen, daß ich in Bezug auf die Wahlagitationen am Rhein und in Westfalen nicht gerade im Stande der Unschuld mich befinde. Ich bin in Westfalen bei den Reichstagswahlen durchgefallen, ich bin am Rhein bei den Reichstagswahlen durchgefallen, ich bin in Westfalen gegen die Klerikalen bei den letzten Reichstagswahlen durchgefallen, ich bin bei der vorletzten Wahl am Rhein durchgefallen, obwohl mich die Klerikalen unterstützten. 

(Heiterkeit.)

Ich hatte also Gelegenheit, die Sache von zwei Seiten kennen zu lernen, und vielleicht trägt dies dazu bei, daß ich die Sache etwas ruhiger und gelassener auffasse, als es anderswo vielleicht geschieht. Praktisch, denke ich mir, kann die Agitation der Geistlichen in drei Richtungen sich bewegen: entweder sie gehen mit der liberalen Partei, oder sie gehen mit der Regierung gegen die liberale Partei, oder sie gehen gegen die Regierung und gegen die liberale Partei zugleich. Die Möglichkeit wenigstens, daß die Geistlichkeit mit der liberalen Partei geht, wird man nicht abstreiten können. In Zeiten, wo etwa Steuerfragen oder
Militärfragen im Vordergrunde des Interesses stehen, ist ja kaum ein Grund gegeben, daß die Geistlichkeit einen besonderen Standpunkt einnimmt; für diesen Fall möchte ich sie in ihrer Agitation nicht beschränkt wissen, 

(Heiterkeit.)

wenigstens so lange nicht, als auch die Beamten in ihrer selben Agitation nicht beschränkt sind. Ich gehe in dieser Hinsicht nicht so weit wie der Herr Abgeordnete von Ketteler, der dieselben Schranken auch den Aerzten auferlegen will, den Notaren u. s. w. -- Indeß, da Sie einmal im Amendiren sind, so könnten Sie mich ordentlich mit der Vorlage befreunden, wenn Sie etwa inseriren wollten hinter: "Geistliche oder andere Religionsdiener, Landräthe und andere Polizeidiener."

(Große Heiterkeit. Sehr gut! Bravo! im Centrum.)

Der zweite Fall ist, daß die Geistlichkeit mit der Regierung geht; das wird wenigstens mit der evangelischen Geistlichkeit in den östlichen Provinzen in der Regel der Fall sein. Meine Herren, für diesen Fall wird das ganze Gesetz keine Anwendung finden, die Regierung besitzt das Anklagemonopol, sie wird auch in der neuen Straf=Proceßordnung für politische Vergehen schwerlich dieses Anklagemonopol sich entreissen lassen. Wenn je die Zeiten wiederkommen, die schon dagewesen sind, daß in den Kirchen gepredigt wird gegen die parlamentarische Opposition, daß Loyalitätsdeputationen im geistlichen Ornate erscheinen, um vor dem Throne die parlamentarische Opposition zu schmähen, wenn Hofprediger so weit gehen, daß sie selbst den Eröffnungsgottesdienst der Session dazu
benutzen,

(Hört, hört! links)

um die anwesenden Abgeordneten der Opposition abzukanzeln, dann wird man sich vergeblich nach diesem Paragraphen umsehen. Wenn Sie dieses Gesetz amendiren wollen, so bitte ich Sie, es wenigstens dahin zu amendiren, daß Sie Jedem aus dem Volke unabhängig vom Staatsanwalt das Recht geben, auf Grund dieses Paragraphen eine Anklage zu erheben. Der dritte Fall ist der, daß die Geistlichkeit zugleich gegen die liberale Partei und die Regierung agitirt. Ich gebe zu, daß diese Frage gegenwärtig im Vordergrunde steht. Ich am allerwenigsten unterschätze die kulturfeindliche Richtung, welche die römische Hierarchie nimmt. Wenn aber in diesem Falle wirklich auch ein innerer Zusammenhang zwischen Regierung und liberaler Partei bestände, so würde die Lösung eine sehr einfache sein. Die Regierungen brauchten eben nur das liberale Programm, wie es in einigen Punkten der Abgeordnete Löwe schon andeutete, zur vollen Ausführung zu bringen. Meine Herren, man gebe dem Volke volle Vereins= und Versammlungsfreiheit, man schaffe freie Privatschulen, man befreie die öffentlichen Schulen von der Aufsicht der Geistlichkeit, man schaffe Civilstands=Register und führe die obligatorische Civilehe ein, man dotire die Kirche aus öffentlichen Mitteln nicht mehr, als sie aus privatrechtlichen Titeln verlangen kann. Man lasse nicht aus öffentlichen Mitteln unter dem Namen Religionsunterricht
oder Theologie auf Schulen, Gymnasien, Universitäten Dinge lehren, welche in schneidendem Widerspruche mit der wissenschaftlichen Erkenntniß unserer Zeit stehen. Man verweise die Geistlichen für die Eintreibung ihrer Kirchensteuer auf den gewöhnlichen Civilprozeß; dann wird es sehr bald Tag werden, dann werden die schwarzen Gespenster, vor denen sich viele der Herren so zu fürchten scheinen, sehr bald verschwinden. 

Wenn man hier gesagt hat, die Kirche übe einen so großen Zwang auf ihre Angehörigen aus, so frage ich Sie, wer ist es denn, der ihr den starken Arm zu diesem Zwange leiht? Sehen wir nicht, wie in Berlin die Schutzmänner von Haus zu Haus gehen, um die Eltern aufzufordern, ihre Kinder taufen zu lassen, und in ihrem Eifer dafür keine Zeit finden, die allergewöhnlichste Straßenpolizei zu handhaben! Wer ist es anders als der Polizeirichter, der in letzter Instanz die Eltern zwingt, die Kinder in den von mir charakterisirten Religionsunterricht zu schicken: Ja, diese Regierungen sind nicht wahrhaft liberal, sie wollen dem Volke, das
mit gebundenen Händen der Geistlichkeit gegenüber steht die Hände nicht frei machen, sie wollen dem Volke keine Waffe in die Hand geben, sich gegen die Geistlichkeit zu vertheidigen, sie wollen nur die Machtmittel des Staates vermehren, nur die Waffe des Staatsanwalts schärfen. 

(Sehr richtig!)

Glauben Sie in der That, daß die Regierung hierbei mit diesen Mitteln ihre eigenen Zwecke erreichen werde? Glauben Sie, daß, wenn die Staatsbehörde die Jugend systematisch verdummen läßt, durch Strafrechts=Paragraphen die Eltern vor den Folgen jener Verdummung geschützt werden können?

(Heiterkeit; Sehr gut! im Centrum.)

Glauben Sie, daß überhaupt mit Haß= und Verachtungsparagraphen sich einen Opposition niederhalten läßt? Der Herr Vorredner hat ganz recht, solche Verfolgungen dienen nur dazu, die Opposition zu schüren, den Märtyrern aus diesem Paragraphen wird hundertfach die Kraft des Widerstandes erwachsen, mit diesen Paragraphen schlagen Sie die ultramontane Partei nicht, Sie kitzeln Sie nur, 

(große Heiterkeit.)

und sie stacheln sie nur auf zu energischem Widerstande. Wenn nicht der Text des Gesetzes, so sollten uns doch die Motive und einige der Reden stutzig machen, die wir für dieselben gehört haben. Nicht die Rechtswidrigkeit der unter Strafe gestellten Handlungen wird hier zu beweisen gesucht, sondern nur die Staatsgefährlichkeit. Und wie gelangt man zum Beweise der Staatsgefährlichkeit? Indem man als Nothwendigkeit für das Bestehen des Staates hinstellt die
Nothwendigkeit, daß eine bestimmte Richtung das Staatsruder in der Hand behält; 

(ganz richtig!)

das ist dieselbe Begriffsverwechslung, mittelst deren man stets ähnliche Maßnahmen vertheidigt hat. Ich kenne nicht den Polizeigelehrten, der diese Motive geschrieben hat, aber täuscht mich nicht Alles, so hat ihm jene Denkschrift dabei zum Muster gedient, in der man einst jene berüchtigte Preßordnung in Preußen zu begründen versucht hat. Das war auch eine Maßregel, um vor den Wahlen eine politische Partei niederzuhalten. Wenn ich solche Reden höre, wie sie hier gefallen sind, von dem "nothwendigen Ansehen" einer Regierung, von der "maßvollen Opposition", von dem "Terrorismus einer Parteiregierung", von den
"Schmeicheleien, denen die Massen ausgesetzt würden", wenn ich sogar scheiden höre zwischen Parteien, die im Staate stehen und die außerhalb des Staates stehen, zwischen nationalen und internationalen, kosmopolitischen Parteien, -- meine Herren, da habe ich lebhaft bedauert, daß es bei den letzten Reichstagswahlen dem verflossenen preußischen Ministerpräsidenten von Manteuffel nicht gelungen ist, ein Mandat hier zu erhalten; die Herren würden von dieser Seite eine ihnen sehr unerwünschte Zustimmung gefunden haben. Ich hatte gerade in der letzten Zeit Gelegenheit, die stenographischen Berichte aus den
Kammerverhandlungen zu Anfang der fünfziger Jahre zu lesen, und das sage ich Ihnen, es sind ganz genau dieselben Redewendungen, dieselben Ausdrücke, mit denen damals Herr von Manteuffel die Reaktion inaugurirt hat, mit denen er die Preßgesetze, die Strafgesetze, die Vereinsgesetze eingeführt hat, unter denen wir heute noch zu leiden haben. Darin irrt der Herr Abgeordnete von Ketteler, wenn er meint, dieses Gesetz sei auf revolutionärem Boden erwachsen; am
allerwenigsten hat es etwas mit der französischen Revolution gemein, der wir so herrliche Früchte für unsere Gesetzgebung zu verdanken haben. Nein, dieses Gesetz stammt aus der Rüstkammer der Reaktion. Das kann mich nicht trösten, daß der reaktionäre Spieß, nachdem er bisher mehr gegen links gekehrt war, nun gegen das Centrum gerichtet wird, dieselbe Hand, die ihn nach rechts gedreht hat, kann ihn auch wieder nach links drehen. Haben wir doch schon gelesen, daß die sächsische Regierung in ihrem besonderen Polizeieifer versucht hat, ob sich nicht im Bundesrathe bei dieser Gelegenheit ein ähnliches Gesetz auch gegen die socialdemokratische Partei machen ließe. Bis jetzt ist dieser Vorschlag noch zurückgestellt worden, aber aus einigen Reden, die hier gefallen sind,
habe ich Anklänge vernommen, als ob es wohl angezeigt wäre, demnächst auch die deutsche Reichseinheit an der socialdemokratischen Partei zu erproben. Ich gehöre durchaus nicht zu Denjenigen, welche die Agitation der Socialdemokraten tragisch nehmen, ich nehme sie viel weniger tragisch, als dies bei anderen in diesem Hause der Fall zu sein scheint; ich bin der Meinung, daß, wenn gegenwärtig das Getöse der Socialdemokraten etwas mehr auffällt, dies daher kommt, weil im Uebrigen unser Parteileben augenblicklich so sehr still ist. Aber, meine Herren, täuschen wir uns doch darüber nicht, diese Stille wird nicht ewig
fortdauern. Der Gegensatz zwischen der großen Mehrheit der Bevölkerung und der Regierung braucht nicht erst zu entstehen, er ist vorhanden; es ist der Gegensatz zwischen dem Bestreben nach einer wirklich parlamentarischen Regierung und einem Scheinkonstitutionalimus.

(Sehr wahr!)

Wenn man diesem Gegensatz gegenüber temporirt, wenn man seine Austragung vertagt, ja, wenn man ihn sogar dort, wo er am auffälligsten an die Oberfläche tritt, durch ein Pauschquantum auf mehrere Jahre begraben zu können meint, -- der Gegensatz selbst wird nicht verschwinden, er muß ausgekämpft werden. Es mag ja sein, daß die große persönliche Autorität, deren die gegenwärtigen Machthaber und Staatslenker genießen, im Stande ist, die Entscheidung dieses
Kampfes in das nächste Decennium hinauszuschieben, -- uns Jüngeren wird dieser Kampf nicht erspart werden, und ich würde glauben, daß in diesem Kampfe mir an der Rüstung ein wesentlicher Ring fehlen würde, wenn man mir dann vorhalten könnte, ich hätte einstmals für ein solches Gesetz gestimmt. 

(Bravo!)

Ich kann nicht anders wie gegen dieses Gesetz ein entschiedenes Nein aussprechen. 

(Bravo!)