Eugen Richter
1838-1906













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Politisches ABC=Buch
9. Auflage, 1898

 
 

Terminhandel für Getreide. [S.342] Im Gegensatz zu dem Regierungsentwurf für das Börsengesetz (siehe "Börsengesetz") und zu den Anträgen der Börsenenquetekommission wurde der börsenmäßige Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten durch das Börsengesetz untersagt. Während der Verhandlungen der Enquetekommission waren nicht einmal von den ihr angehörigen landwirtschaftlichen Mitgliedern, die nachher für das Verbot eintraten, auch nur Anträge in dieser Richtung eingebracht worden. Auch der deutsche Landwirtschaftsrat und das preußische Landesökonomiekollegium hatten nur Anträge auf [S.343] Ausmerzung der Mißstände gestellt; Anträge auf Verbot des Terminhandels wurden im Landwirtschaftsrat ausdrücklich abgelehnt.
 
     Das Verbot wurde erlassen bei der zweiten Beratung am 1. Mai 1896 in namentlicher Abstimmung mit 200 gegen 39 Stimmen der beiden freisinnigen Fraktionen, der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokraten. Noch unmittelbar vor der Abstimmung trat namens der Regierung der Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Rothe gegen das Verbot ein. Wäre die Theorie richtig, so führte derselbe aus, daß die Terminspekulation notwendig die Preise herabsetzen muß, wie dies behauptet war, so könnte sie das doch nicht nur bei Getreide thun; auch Spiritus, Zucker, Kaffee wird in Terminen spekulirt und in blanko verkauft. Auch die Effektenspekulation haben eine weit größere Ausdehnung als die Getreidespekulationen. Wenn die Theorie richtig wäre, daß man bei der Baissespekulation nur gewinnen kann, dann wäre doch die Enthaltsamkeit zu verwundern, mit der die Mehrheit der Menschheit sich von diesen Geschäften immer noch fernhält. Die von den Agrariern angeführte Firma Cohn und Rosenberg hätte in der Theorie, da sie à la baisse ging, gewinnen müssen; sie hat aber verloren. Die Folge jeder excessiven Spekulation pflegt zu sein, daß sie sich an den Urhebern rächt; Gewaltspekulationen stiften Schaden, nur vorübergehend Vorteil, und auf solche vorübergehenden Erscheinungen sollte man dauernde gesetzgeberische Maßnahmen nicht gründen. Der Unterstaatssekretär erklärte die öffentliche Abwendung gegen das Termingeschäft so: die Preise sind schlecht, ein Baissespekulant ist in flagranti ertappt, dem es gelungen ist, die Preise zu drücken; also drückt das Termingeschäft die Preise, also ist die Notlage der Landwirtschaft verschuldet durch das Termingeschäft: post hoc, ergo propter hoc. Weil die Konjunktur für Getreide sich in absteigender Linie befindet infolge der Konkurrenz der nordamerikanischen Prärien, des ostindischen, des argentinischen Weizens, der außerordentlichen Verbilligung der Beförderungsmittel, geht die Börse in die Baisse, und nicht: es gehen die Preise herunter, weil die Börse die Baisse macht. Die Börse würde natürlich sofort à la hausse gehen, wenn sie einen Gewinn dabei machte.
 
     Auch der damalige Handelsminister Frhr. V. Berlepsch hatte vor der Abstimmung es als im höchsten Maße zweifelhaft bezeichnet, ob das absolute Verbot des Terminhandels nicht der Landwirtschaft den erheblichsten Schaden bringen wird. Die Verantwortung dafür, daß durch das Verbot ein solch erheblicher unberechenbarer Schaden zugefügt wird, könne seiner Ueberzeugung nach niemand übernehmen. Unbestritten liege die wertvolle Seite des Terminhandels in der Frage der Versicherung gegen das Risiko. Fällt diese Versicherungsmöglichkeit fort, so kann der Handel nicht mehr mit derselben Bereitwilligkeit gerade in derjenigen Zeit eintreten, wo die Landwirtschaft am allernotwendigsten den Verkauf der Ware braucht.
 
     Die von dem Handelsminister erwähnte Versicherung besteht darin, daß der Kaufmann die Ware, die er absetzen will, womöglich schon verkauft, bevor er sie noch gekauft hat. Sobald man nur sicher ist, daß man eine Ware in bestimmter Qualität zu dem und dem Preise und in der und der Zeit heranzuschaffen vermag, ist es kaufmännisch vorteilhaft, zunächst den Abnehmer für die Ware zu suchen und erst nachher sich zu decken und die Ware selbst an=[S.344]=zuschaffen. Aus solchen Lieferungsgeschäften hat sich im Laufe der Zeit der Terminhandel herausgebildet als eine entwickeltere Form des einfachen Lieferungsgeschäfts. Weil Weizen und Roggen keine Waren sind, die eine einfache Qualität repräsentiren, sondern die besten Qualitäten unter Umständen einen beträchtlich höheren Preis bedingen als die niederen Qualitäten, so wird hier das Lieferungsgeschäft sehr erschwert. So schiebt sich das börsenmäßige Termingeschäft zur Erleichterung dazwischen, indem es eine sogenannte Lieferungsqualität feststellt, welche eine Art von Durchschnittscharakter hat. Auf der sicheren Basis der Lieferungsqualität entwickelt sich ein lebhaftes Spekulationsgeschäft.
 
     Nun wird behauptet: die Spekulanten, die als Verkäufer erscheinen und Terminware anbieten, die sie nicht besitzen, auch vielleicht niemals erwerben wollen, drückten die Preise. Nun kann aber kein einziger Terminabschluß erfolgen, bevor nicht dem Verkäufer auch ein Käufer gegenübersteht. Auch wenn solche Terminabschlüsse spekulativer Natur sind, halten sich die Käufer und Verkäufer die Wage. Den Verkäufern von sogenanntem Papierweizen stehen auch Käufer für Papierweizen gegenüber. Durch die Vermehrung von Käufern und Verkäufern kann auch den Getreideproduzenten kein Schaden erwachsen; sowohl für denjenigen, die Ware absetzen will, wie für denjenigen, der Ware kaufen will, ist der Markt um so vorteilhafter, je mehr Käufer und Verkäufer auf dem Markt sind. Der Vorteil eines großen Marktes besteht darin, daß jeder, der verkaufen will, in der Lage ist, auf diesem großen Markt jeden Augenblick auch einen Käufer zu finden, und daß im umgekehrten Falle jeder, der als Käufer auf dem Markt erscheint, durch diesen Markt in die Lage versetzt wird, auch jeden Augenblick einen Verkäufer zu finden. Je mehr Käufer und Verkäufer, seien es spekulative oder andere, um so schwerer ist es, eine willkürliche Preistreiberei herbeizuführen. Eben deswegen trägt der Terminhandel mit seinen spekulativen Käufern und Verkäufern ganz wesentlich dazu bei, eine Stabilisirung des Preises herbeizuführen. Andernfalls wird es für eine einzelne starke, kapitalkräftige Hand sehr viel leichter sein, die Preisbildung zu beeinflussen. In dem Maße, wie der Terminhandel es auch dem kleinen Spekulanten ermöglicht, einen größeren Markt zu schaffen, wird es auch für die kapitalkräftigsten Hände unmöglich, willkürliche Preisbildungen hervorzurufen.
 
     Von Seiten der Agrarier wird geltend gemacht, daß nur der börsenmäßige Terminhandel, nicht der Terminhandel und das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft überhaupt verboten sei. Die Thatsache ist richtig und wurde diese Zulässigkeit handelsrechtlicher Lieferungsgeschäfte auch in Getreide noch Anfang November 1897 in einer vom Handelsminister veranstalteten Konferenz allseitig anerkannt. 
 
     Der Unterschied des börsenmäßigen vom handelsrechtlichen Terminhandel besteht darin, daß er nach vom Börsenvorstand festgesetzten Bedingungen auf eine festbestimmte Lieferungszeit geschlossen wird und daß für die an der betreffenden Börse geschlossenen Geschäfte eine amtliche Feststellung von Terminpreisen erfolgt. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß gerade ein börsenmäßiger [S.345] Terminhandel eine größere Gleichmäßigkeit der Preise und auch eine größere Zuverlässigkeit für die festgestellten Preise herbeiführt.
 
     Wie nachteilig das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels schon 1897 thatsächlich auf die Getreidepreise eingewirkt hat, ist neuerlich durch die "Vossische Zeitung" nachgewiesen worden in einem Vergleich der Berliner Getreidepreise und der Getreidepreise für Weizen in Wien, Budapest, Amsterdam, Paris, London, Liverpool, New York und Chicago und für Roggen in Wien und Budapest. Die Centralnotirungsstelle der preußischen Landwirtschaftskammer hat durch ihre Gegenberechnung diese Aufstellung nicht zu erschüttern vermocht. Nach dieser Aufstellung ergab sich für die Tonne Weizen in Berlin am 25. September 1897, verglichen mit den Preisen vom 1. Januar 1897, eine Steigerung von nur 3 Mk. Hingegen hat Platz gegriffen eine Preissteigerung in Wien um 51 Mk., in Budapest um 61 Mk., im Amsterdam um 16 Mk., in New York um 10 Mk., in Chicago um 17 Mk. Bei Roggen hat in Berlin eine Preissteigerung stattgefunden um 11. Mk., in Wien dagegen um 24 Mk., in Budapest um 26 Mk.
 
     Im Einzelnen ergiebt sich dies aus folgender Tabelle:
 

Weizen
am 1. Januar am 25 Sept. Steigerung  pro Tonne
in Berlin 177 Mk.  180 Mk. 3 Mk. = ca. 3 Mk.
in Wien 8,71 G. 11,72 G. 3,01 G. = ca. 51 Mk.
in Budapest 8,34 G. 11,93 G. 3,59 G. = ca. 61 Mk.
in Amsterdam 195 G. 217 G. 22 G. = ca. 16 Mk.
in Paris 22,50 Fr. 28,90 Fr. 6,30 Fr. = ca. 50 Mk.
in London
 engl. Weizen 32 sh. 6 d. 35 sh. 7 d.  3 sh. = ca. 13 Mk.
 Saronka 33 sh. 37 sh. 6 d. 4 sh. 6 d. = ca. 19 Mk.
in Liverpool 6 sh. 11 1/2 d. 7 sh.11 1/2 d. 1 sh. = ca. 17 Mk.
in New York 91 3/4 Cents 98 3/4 Cents 6 5/8 Cents = ca. 10 Mk.
in Chicago 80 Cents 91 5/8 Cents 11 5/8 Cents = ca. 17 Mk.
Roggen
in Berlin 129 1/2 Mk. 140 1/2 Mk. 11 Mk. = ca. 11 Mk.
in Wien 7,29 G. 8,71 G. 1,42 G. = ca. 24 Mk.
in Budapest 6,87 G. 8,38 G.  1,51 G. = ca. 26 Mk.

      Alle diese Preise beziehen sich auf nahe Lieferung.
 
     Man hatte auch behauptet, daß während der Weltmarktpreis heftig und unvermittelt hin und her schwankte, seit dem Verbot des börsenmäßigen Terminhandels die Preissteigerung in Berlin stetig und daher wenig bemerkbar war. Auch dies wird als eitel Dunst bezeichnet. Weizen eröffnete das laufende Jahr in Berlin mit circa 180 Mk., ging dann auf 154 Mk. pro Tonne zurück, stieg auf circa 194 Mk., um dann circa 14 Mk. wieder zu weichen. Seitdem der regelmäßige Börsenverkehr eingestellt ist, ging die Nachfrage einer ausländischen Hausse stets wesentlich schwerfälliger von Statten als die Beantwortung rückläufiger Preisanregung.
 
     Von agrarischer Seite ist auch ausgeführt worden, daß, wenn diese Tabelle richtig wäre, man auf liberaler Seite um  so zufriedener sein müßte mit dem Verbot, da es ja einer Verteuerung des Getreides entgegengewirkt habe. Das ist in diesem Falle zutreffend. Aber die Sache kann auch einmal umge=[S.346]=kehrt kommen. Es wird dies dann der Fall sein, wenn die Konjunktur das entgegengesetzte Bild zeigt. Gegenwärtig ist die deutsche Ernte verhältnismäßig reichlich, während der Weltmarkt im Uebrigen ein Minus der Ernte ausweist. Wenn umgekehrt die deutsche Ernte einen erheblichen Ausfall zeigt und der Weltmarkt einen Ueberschuß, so wird der Mangel der Termingeschäfte in Deutschland preissteigernd wirken über die Weltmarktpreise hinaus. Das allgemeine Interesse aber erheischt, daß der Preis stets dem natürlichen Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt sich möglichst anpaßt. Dies aber wird durch das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels erheblich erschwert.