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                         Richard Cobden, der Manchester-Liberale 
                            
                         
                        
                        Der Mann, der
                            später der führende Vertreter der
                            „Manchester School“ werden würde, kam
                            ursprünglich nicht aus dem Norden, sondern
                            aus West Sussex im Süden Englands. Am 3.
                            Juni 1804 geboren, wuchs er hier in
                            bescheidenen Verhältnissen als viertes von
                            elf Kindern einer Bauernfamilie auf. Mit
                            zehn Jahren wurde er in ein Internat
                            geschickt, in dem er, wie er sich später
                            erinnerte, „schlecht verpflegt, schlecht
                            behandelt und schlecht unterrichtet“ wurde.
                            1819 begann Richard Cobden im Geschäft eines
                            Onkels in London zu arbeiten. Soweit ihm die
                            Arbeit dazu Zeit ließ, holte er während
                            dieser Zeit nach, was ihm das Internat nicht
                            gegeben hatte. Er brachte sich selbst etwas
                            Französisch bei und verschlang Bücher über
                            Geschichte und politische Ökonomie. 
                        Im Jahre 1828
                            machten sich Richard Cobden und zwei Freunde
                            nach Manchester auf, ausgestattet mit einer
                            kleinen Summe, die sie angespart und
                            zusammengeliehen hatten. Hauptsächlich durch
                            ihren guten Ruf und Cobdens Beredsamkeit
                            gelang es ihnen, mit einem der größeren
                            Unternehmen ins Geschäft zu kommen. Von
                            diesem ließen sie sich Stoffe nach eigenen
                            Mustern bedrucken, die sie dann vertrieben.
                            Das Geschäft gedieh gut, und schon nach
                            wenigen Jahren konnten die Partner auch das
                            Bedrukken der Stoffe übernehmen. Begeistert
                            schrieb Richard Cobden an seinen Bruder, man
                            könne ihn nackt in Lancashire mit nichts als
                            seiner Erfahrung als Kapital aussetzen und
                            er würde es dennoch zu einem Vermögen
                            bringen.   
                        Mit wachsendem
                            Wohlstand für sich und seine Familie wandte
                            Richard Cobden sich nun zunehmend
                            politischen Fragen zu. So veröffentlichte er
                            1835 und 1836 vor dem Hintergrund einer
                            antirussischen Hysterie seine ersten beiden
                            Schriften, „England, Ireland and America“
                            und „Russia“, in denen er die klassische
                            Lehre vom „Gleichgewicht der Mächte“
                            angriff, die England nur nutzlos in jeden
                            Krieg auf dem Kontinent hineingezogen habe.
                            Dem stellte Cobden die Doktrin der
                            „Nichteinmischung in die politischen
                            Angelegenheiten anderer Nationen“ entgegen.
                            Großbritannien solle nicht den
                            Weltpolizisten spielen, sondern sich lieber
                            um die eigenen Probleme wie das Elend in
                            Irland kümmern. Nicht rückständige Staaten
                            wie Russland seien die Herausforderung der
                            Zukunft, sondern die USA, deren Bürger nicht
                            durch kostspielige Kriege und Steuern zu
                            deren Finanzierung niedergedrückt würden. 
                        1838 gründete
                            sich in Manchester eine Vereinigung, die
                            spätere „Anti-Corn Law League“, deren Ziel
                            es war, eine unmittelbare und vollständige
                            Abschaffung der Kornzölle zu bewirken. Die
                            Kornzölle waren 1815 nach dem Sieg über
                            Napoleon eingeführt worden, um die Preise
                            für Getreide auf dem hohen Niveau der
                            Kriegszeit zu halten. Sie verteuerten nicht
                            nur das Brot, sondern führten auch zu
                            stärkeren Schwankungen in den Preisen, als
                            es sie ohne die Kornzölle gegeben hätte.
                            Richard Cobden schloss sich sogleich der
                            „League“ an, in der er aufgrund seiner
                            großen Fähigkeiten als Organisator und
                            Redner schon bald eine der führenden Rollen
                            spielen sollte.   
                        Zu Beginn
                            suchte die „Anti-Corn Law League“ über die
                            Vorteile des Freihandels mit Flugschriften,
                            Versammlungen und einer eigenen Zeitung
                            aufzuklären. Die Wirkung war allerdings
                            begrenzt, denn im Parlament dominierten
                            sowohl auf Seiten der Tories als auch der
                            Whigs adlige Grundbesitzer, die zumeist ein
                            unmittelbares Interesse an der Erhaltung der
                            Kornzölle hatten. Deshalb ging die „League“
                            dazu über, bei den Wahlen nur ausgewiesene
                            Freihändler zu unterstützen und soweit
                            möglich eigene Kandidaten ins Rennen zu
                            schicken, die den kleinen Kreis der
                            freihändlerischen Radikalen im Parlament
                            verstärken konnten. Mit Agitationen in den
                            ländlichen Regionen bemühte man sich, die
                            Pächter und Landarbeiter davon zu
                            überzeugen, dass die Korngesetze nicht in
                            ihrem Interesse lagen. Als besonders
                            aussichtsreich stellte sich schließlich eine
                            systematische Kampagne heraus, bei der die
                            Wahlregister auf Unregelmäßigkeiten geprüft
                            und neue Wähler registriert wurden. 
                        Nicht zuletzt
                            dies, aber auch die überzeugenden Argumente
                            der Freihändler und die schlechte
                            wirtschaftliche Lage begannen eine Wirkung
                            zu zeitigen. Der Führer der Whigs Lord John
                            Russell bekehrte sich zum Freihandel, und
                            auch unter einer Gruppe von Tories um den
                            Premierminister Sir Robert Peel fand die
                            „League“ ein aufmerksames Ohr. 1842 führte
                            Peel eine erste Zollreform durch, die
                            Einfuhrverbote abschaffte und Zölle auf
                            viele Rohmaterialien für die Produktion
                            erheblich senkte. Allerdings fielen die
                            Reduktionen bei Getreide und Zucker aus
                            Rücksicht auf protektionistische Tories
                            vergleichsweise gering aus. 
                        Als 1846 klar
                            wurde, dass das Land durch Missernten in
                            eine Krise hineinsteuerte, die insbesondere
                            in Irland wegen der Kartoffelfäule
                            desaströse Ausmaße annehmen sollte,
                            entschloss sich Sir Robert Peel, die
                            Kornzölle ganz abzuschaffen. Mit
                            Unterstützung der Freihändler und weiter
                            Teile der Whigs, aber gegen erheblichen
                            Widerstand seiner eigenen Partei setzte er
                            dies durch. In einer Würdigung erkannte der
                            Premierminister die Rolle Cobdens an: „[…]
                            der Name, der mit dem Erfolg dieser
                            Maßnahmen verbunden sein sollte und sein
                            wird, ist der Name Richard Cobden.“ 
                        Über die
                            Kampagne gegen die Korngesetze hatte sich
                            Richard Cobden zu wenig um seine Geschäfte
                            kümmern können, so dass er sich in einer
                            ziemlich prekären finanziellen Lage befand.
                            In Anerkennung seiner Verdienste wurde
                            deshalb eine Sammlung veranstaltet, die die
                            Summe von 75.000 Pfund zusammenbrachte und
                            es Richard Cobden ermöglichte, seine
                            Schulden abzuzahlen und sein Unternehmen
                            aufzugeben. Auch seine Gesundheit hatte
                            unter den Anstrengungen der letzten Jahre
                            gelitten. So begab er sich mit seiner Frau
                            auf eine Reise durch Europa. Mittlerweile
                            war Richard Cobden eine internationale
                            Berühmtheit. Und was eigentlich der Erholung
                            dienen sollte, verwandelte sich in eine
                            Kette von Audienzen, Empfängen und Feiern zu
                            seinen Ehren. 
                        In den
                            folgenden Jahren wandte sich Richard Cobden
                            verschiedenen Fragen zu, die für ihn aus dem
                            Prinzip des Freihandels folgten. In einer
                            Rede in Manchester anlässlich der
                            Abschaffung der Korngesetze hatte Richard
                            Cobden bereits betont, dass es ihm um mehr
                            als nur die materiellen Vorteile des
                            Freihandels ging. „Ich sehe im Prinzip des
                            Freihandels das, was in der moralischen Welt
                            wie die Anziehungskraft im Universum wirken
                            wird, was Menschen zueinander ziehen, den
                            Gegensatz von Rasse, Glauben und Sprache
                            beiseite stoßen und uns im Band des ewigen
                            Friedens vereinigen wird.“   
                        1849 nahm er
                            am Pariser Friedenskongress teil, wo er
                            seine Rede mit Unterstützung von Frédéric
                            Bastiat auf französisch hielt. Hier ging es
                            unter anderem um internationale
                            Abrüstungsvereinbarungen und den Boykott
                            einer russischen Anleihe, mit der die
                            Unterdrückung der Ungarn finanziert werden
                            sollte. Auf dem Frankfurter Friedenskongress
                            1850 in der Paulskirche plädierte Cobden für
                            Schiedsgerichte bei Streitigkeiten zwischen
                            den Staaten: „Ist hier einer, der den Krieg
                            dem Schiedsgerichte vorzöge? (Nein, nein!)
                            Also lasst uns Gerechtigkeit suchen, statt
                            Krieg, und wollen unsere Lenker nicht
                            anders, so verstoßen wir sie und stürzen
                            solche Regierung um.“ 
                        Richard Cobden
                            war ein unerbittlicher Gegner der britischen
                            Kolonialpolitik. In seiner Schrift „How Wars
                            are Got Up in India“ attackierte er 1853 die
                            Politik des indischen Generalgouverneurs am
                            Beispiel der gewaltsamen Annexionen in
                            Burma. Im Unterhaus ergänzte er: „[…] Ich
                            glaube nicht, dass es irgendwie mehr im
                            Interesse des englischen Volkes liegt als in
                            dem der Bevölkerung von Indien, dass wir 100
                            Millionen Menschen 12.000 Meilen entfernt
                            dauerhaft regieren sollten. Ich sehe keinen
                            Vorteil, der dem englischen Volk aus seiner
                            Verbindung mit Indien erwachsen kann, außer
                            dem, welcher aus ehrlichem Handel erwächst
                            […]“. Anlässlich der gleichermaßen brutalen
                            Meutereien indischer Truppen und deren
                            Unterdrückung im Jahre 1857 fragte er in
                            einem Brief: „Ist es möglich, dass wir die
                            Rolle des Despoten und Schlächters dort
                            spielen können, ohne unseren Charakter
                            zuhause verdorben zu finden?“ 
                        Freihandel,
                            Nichteinmischung, Abrüstung, und Rückzug aus
                            den Kolonien fügten sich für Cobden in der
                            Fiskalpolitik zusammen, denn nur so konnte
                            die Belastung der Bevölkerung durch Steuern
                            vermindert und der wirtschaftliche und
                            gesellschaftliche Fortschritt vorangetrieben
                            werden. Angesichts eines stark regressiven
                            Steuersystems, dessen Hauptlast gerade die
                            Armen über indirekte Steuern trugen,
                            befürwortete Richard Cobden eine stärkere
                            Verlagerung der Besteuerung hin zu direkten
                            Steuern auf Einkommen, Eigentum und
                            Erbschaften. In erster Linie müsse es aber
                            um eine sparsame Staatsverwaltung gehen. Im
                            Unterhaus führte er staatliche Verschwendung
                            am Beispiel der Waffenproduktion durch den
                            britischen Staat vor: „Ich finde, dass man
                            den Leitern dieser Staatsbetriebe niemals
                            klarmachen kann, dass das Kapital, mit dem
                            sie umzugehen haben, echtes Geld ist. Wie
                            sollte es echtes Geld für sie sein? Es
                            kostet sie nichts […] Deshalb ist es für sie
                            ein Mythos — bloß für die Steuerzahler ist
                            es eine Realität.“ 
                        Ein anderes
                            Anliegen, das Richard Cobden in diesen
                            Jahren verfolgte, war eine Wahlrechtsreform.
                            Im Prinzip befürwortete er dabei ein
                            allgemeines Wahlrecht, nicht nur für Männer,
                            sondern auch für Frauen. Da er dies aber für
                            nicht durchsetzbar hielt, konzentrierte er
                            sich auf Reformen wie eine schrittweise
                            Ausdehnung des Wahlrechts sowie die
                            Einführung geheimer Wahlen. Im Gegensatz zu
                            seinem Freund und Mitstreiter John Bright
                            war Cobden aber weniger zuversichtlich, dass
                            eine Ausweitung des Wahlrechts zu einer
                            besseren Politik führen würde. Voraussetzung
                            sei eine entsprechende Bildung, ohne die
                            Politiker nur die Vorurteile der Bevölkerung
                            ausnutzen könnten. Nicht zuletzt daraus
                            erklärte sich die große Bedeutung, die
                            Richard Cobden der Bildung zuerkannte. Er
                            unterstützte die Gründung von Schulen und
                            trat für die Abschaffung der „Steuern auf
                            Wissen“ —Zeitungsstempel sowie Steuern auf
                            Anzeigen und Papier — ein. Allerdings
                            bezeichnete er ein rein freiwilliges
                            Schulsystem als eine Schimäre und
                            befürwortete staatliche Eingriffe, um nach
                            amerikanischem Vorbild ein System
                            konfessionell neutraler und gebührenfreier
                            Grundschulen einzuführen, die durch eine
                            lokale Steuer finanziert werden sollten. 
                        Wie leicht
                            sich seine Mitbürger von ihren Vorurteilen
                            mitreißen ließen, musste Richard Cobden
                            während des Krimkriegs erleben. Gerade
                            einmal ein Jahr zuvor hatte er sich in
                            seiner Schrift „1793 and 1853“ gegen die
                            Furcht vor einer französischen Invasion
                            gewandt. Nun trieb 1854 England an der Seite
                            Frankreichs durch ungeschickte Diplomatie
                            und den Druck der Öffentlichkeit in einen
                            Krieg gegen Russland. Richard Cobden und
                            John Bright wandten sich scharf gegen dieses
                            Abenteuer, fanden sich aber in einer kleinen
                            und verachteten Minderheit. Bei den
                            Parlamentswahlen wurde die „Manchester
                            School“ abgestraft. Sowohl Cobden als auch
                            Bright verloren ihre Sitze.   
                        Richard Cobden
                            zog sich resigniert aus dem öffentlichen
                            Leben zurück. Erst 1856 gegen Ende des
                            Krimkriegs meldete er sich mit seiner
                            Schrift „What next - and next?“ zurück, in
                            der er die verfahrene Lage analysierte. Auch
                            wenn der Krimkrieg in Ernüchterung endete,
                            ließ sich Großbritannien von seiner Politik
                            nicht abbringen. 1857 folgte die
                            Niederschlagung der indischen Meuterei und
                            der zweite chinesische Krieg. Zu der
                            Frustration über die Unbelehrbarkeit seiner
                            Landsleute kamen für Richard Cobden private
                            Schicksalsschläge, ein Nervenzusammenbruch
                            seines Freundes John Bright und der Tod
                            seines Sohnes. 
                        1859 kam
                            Richard Cobden mit dem Finanzminister
                            William Ewart Gladstone überein, auf einer
                            Reise nach Paris zu sondieren, ob Frankreich
                            und Großbritannien gleichzeitig ihre Zölle
                            senken könnten. Gemeinsam mit Michel
                            Chevalier, einem Schüler Bastiats, machte er
                            sich daran, die französische Regierung und
                            den Kaiser von den Vorteilen eines solchen
                            Schrittes zu überzeugen. Mit viel Geschick
                            gelang es ihm schließlich, einen
                            Handelsvertrag gegen starken Widerstand
                            protektionistischer Kreise in Frankreich
                            zustandezubringen. Frankreich schaffte darin
                            alle Importverbote für englische Waren ab
                            und senkte viele Zölle. Im Gegenzug und ganz
                            im Sinne eines wohlverstandenen Freihandels
                            senkte Großbritannien Zölle auf zahlreiche
                            Waren aus allen Ländern und schaffte viele
                            weitere ab. Cobdens Hoffnung, mit dem
                            Vertrag zu einer Entspannung mit Frankreich
                            beizutragen, wurde allerdings von einer
                            erneuten Invasionspanik durchkreuzt, die er
                            in seiner letzten Schrift „The Three Panics“
                            im historischen Vergleich aufarbeitete. 
                        Der
                            amerikanische Bürgerkrieg traf Richard
                            Cobden hart, denn er hatte stets auf die USA
                            als Vorbild für eine kluge Politik gesetzt.
                            Nach anfänglichem Zögern ergriff er anders
                            als die meisten seiner Landsleute die Seite
                            der Nordstaaten, weil diese für die
                            Sklavenbefreiung eintraten. Großbritannien
                            sollte sich nach Cobdens Meinung strikt
                            neutral verhalten, eine Haltung, die auf
                            eine harte Probe gestellt wurde, als der
                            Norden die Häfen der Südstaaten blockierte
                            und damit die Zufuhr von Baumwolle nach
                            England abschnitt. Die folgende „Cotton
                            Famine“ führte zu großer Arbeitslosigkeit in
                            Nordengland. Zu deren Linderung initiierte
                            Richard Cobden die Sammlung der unerhörten
                            Summe von mehr als einer Million Pfund. Das
                            Ende des amerikanischen Bürgerkriegs sollte
                            Cobden nicht mehr erleben. 1865 reiste er
                            trotz gesundheitlicher Probleme nach London,
                            um sich im Unterhaus gegen einen Plan für
                            Befestigungen in Kanada zu wenden. Nach
                            kurzer Krankheit starb er dort am 2. April 
                        1865. Richard
                            Cobdens Tod löste große Trauer aus. Seine
                            Leistungen wurden von Freunden wie Gegnern
                            gewürdigt. In den Worten Walter Bagehots,
                            Herausgeber des Economist: „Sehr selten,
                            wenn überhaupt jemals in der Geschichte, hat
                            ein Mann so viel erreicht mit Worten … und
                            doch so wenig Schlechtes gesprochen wie Herr
                            Cobden!“ 
                           
                         
                           
                        Verweise 
                         Website zu
                              Richard Cobden 
                           
                         
                           
                         
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