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                         Gary Johnson:
                            "Toleranz ist amerikanisch" 
                          
                        Er hat den Everest bestiegen.
                          Aber jetzt hat Gary Johnson sich ein
                          schwierigeres Ziel gesetzt: republikanischer
                          Kandidat für 2012 zu werden. Auf den ersten
                          Blick sieht das hoffnungslos aus. Außerhalb
                          seines Heimatstaats New Mexico ist er fast
                          unbekannt, in den Medien wird er abgetan oder
                          gleich ganz ignoriert. Und seine Kampagne muß
                          mit einem minimalen Budget zurechtkommen. Doch
                          auf den zweiten Blick sieht es ganz danach
                          aus, als wenn er es schaffen könnte,
                          vielleicht noch nicht 2012, aber dann 2016. 
                        Gary
                          Johnson hat sein Handwerk gelernt. Jahrgang
                          1953, wuchs er in New Mexico auf. Dort
                          gründete er sein eigenes Unternehmen mit nur
                          einem Mitarbeiter: sich selbst. Er bot
                          Handwerksdienste an und schaffte es in wenigen
                          Jahren, eines der größten Bauunternehmen New
                          Mexicos aufzubauen. Nicht allein frustriert
                          über hohe Steuern, entschloß er sich zu den
                          Gouverneurswahlen 1994 anzutreten. Als er bei
                          den Republikanern anklopfte, rieten ihm die
                          Profi-Politiker bitte erst einmal die
                          Ochsentour zu gehen. Er ignorierte diesen Rat
                          und gewann die Nominierung. Doch der schwerere
                          Teil sollte noch kommen. New Mexico hat
                          doppelt so viele registrierte Demokraten wie
                          Republikaner. Mit einer Kampagne für einen
                          schlankeren Staat, die nur auf Inhalte
                          abstellte und bei der er seine Gegner nie auch
                          nur erwähnte, entschied er die Wahl klar für
                          sich. 
                        Schon
                          im ersten halben Jahr seiner Amtszeit zeigte
                          Gary Johnson, daß seine Wahlkampfversprechen
                          kein leeres Gerede waren. Er legte sein Veto
                          gegen mehr als 200 Gesetzesvorlagen ein und
                          suchte die öffentliche Diskussion mit der
                          Frage: Sollte das der Staat wirklich machen?
                          Sein Argument: Machen wir eine
                          Kosten-Nutzen-Analyse. Dem kann kaum jemand
                          widersprechen, und das Verhältnis von Kosten
                          zu Nutzen ist erbärmlich. Mit Gusto spricht er
                          noch heute über eine Gesetzesvorlage, daß
                          Besitzer von Tierhandlungen ihre Katzen und
                          Hunde dreimal die Woche trainieren müssen. Ja,
                          er finde das natürlich auch ganz toll,
                          schmunzelt er. Aber soll man wirklich eine
                          Hunde-und-Katzen-Trainingspolizei zur
                          Kontrolle hinterherschicken? 
                        Nach
                          vier Jahren waren seine Mitbürger so zufrieden
                          mit Gary Johnson, daß sie ihn mit einer noch
                          größeren Mehrheit wiederwählten. Und er machte
                          weiter. Insgesamt fielen 750 Gesetzesvorlagen
                          seiner Kosten-Nutzen-Analyse zum Opfer, davon
                          ein Drittel republikanische. Er legte mehr
                          Vetos ein als alle anderen Gouverneure
                          zusammen. Das Ergebnis: In acht Jahren wurden
                          keine Steuern erhöht, sondern vierzehnmal die
                          Steuern gesenkt, der Staatsapparat schrumpfte
                          um mehr als 1000 Beamte, und New Mexico hatte
                          am Schluß einen Haushaltsüberschuß. 1999
                          erregte er dann nationales Aufsehen, als er
                          den Drogenkrieg als gescheitert anprangerte
                          und eine Legalisierung von Marihuana forderte.
                          Offenherzig gab er zu, selbst gekifft und
                          dabei nie exhaliert zu haben. 
                        Auch
                          heute ist er noch in seinem Heimatstaat sehr
                          beliebt, anders als alle anderen
                          Ex-Gouverneure, die antreten. Aber nach zwei
                          Amtszeiten war Schluß. Fürs erste zog er sich
                          aus der Politik zurück und widmete sich seiner
                          Leidenschaft: Ausdauersport und Bergsteigen.
                          Allerdings fand er dabei immer noch Zeit,
                          Initiativen wie die zur Legalisierung von
                          Marihuana zu unterstützen. Schon für die Wahl
                          2008 als möglicher Kandidat gehandelt,
                          entschied er sich stattdessen Ron Paul zu
                          unterstützen. Im April 2011 kündigte er dann
                          seine Kandidatur als erster per Twitter an. 
                        Das
                          größte Problem für Gary Johnson ist sein
                          geringer Bekanntheitsgrad. Aber das ist auch
                          fast sein einziges Problem. In New Mexico, wo
                          man ihn kennt, ist er nach Umfragen der
                          einzige Republikaner, der eine Chance gegen
                          Obama hätte. Liest man in Internetforen die
                          Reaktionen von Leuten, die zum ersten Mal auf
                          ihn stoßen, so sind zynische Kommentare nicht
                          selten. Politiker versprächen doch alles, um
                          gewählt zu werden, und hielten es dann nicht
                          ein. Schauen sie sich dann Gary Johnson näher
                          an, kann das in ungläubige Begeisterung
                          umschlagen. 
                        Ein
                          Beispiel: In einem Forum scheibt ein
                          bekennender Progressiver, also weit links im
                          amerikanischen Spektrum stehend, daß er
                          überlegt, sich als Republikaner zu
                          registrieren, um die schlimmsten Kandidaten zu
                          verhindern. Etwas später editiert er seinen
                          Post: „Wenn Sie wirklich die bürgerlichen
                          Freiheiten wiederherstellen, dann stimme ich
                          für sie sogar bei den Wahlen.“ Und etwas
                          später editiert er seinen Post noch einmal:
                          „Holy crap. You might be the real deal.“ Die
                          Reaktion ist nicht ungewöhnlich und zeigt, wie
                          breit Gary Johnson Wähler ansprechen kann, die
                          mit dem eingefahrenen Parteiensystem und der
                          Gängelei bei bürgerlichen und/oder
                          wirtschaftlichen Freiheiten unzufrieden sind. 
                        Für
                          einige Monate schien die Kampagne von Gary
                          Johnson zu versanden. Zwar wurde er zur ersten
                          Debatte der republikanischen Kandidaten
                          eingeladen, dann aber von CNN aus der zweiten
                          mit fadenscheinigen Gründen herausgehalten.
                          Doch in den letzten Wochen hat es Gary Johnson
                          verstanden, mit einfachsten Mitteln
                          durchzudringen. Der erste Schlag kam aus einer
                          ungewöhnlichen Richtung. Im April hatte die
                          Bundesregierung die größten Websites für
                          Online-Poker zerschlagen. Die Wut der
                          Pokerspieler hatte nur Gary Johnson
                          mitbekommen. Als er sich für die Freiheit des
                          Glücksspiels aussprach, war die Resonanz
                          riesig, und bald stellte sich einer der
                          größten Verbände hinter ihn. Als nächstes
                          plädierte er in einem Artikel für CNN für die
                          Freigabe von Marihuana. Binnen kurzem bekam er
                          Tausende von enthusiastischen Kommentaren. 
                        Doch
                          sein bis jetzt größter Coup gelang ihn unter
                          dem Slogan „Toleranz ist amerikanisch“.
                          Angefangen hatte es mit dem sogenannten Family
                          Leader Pledge, mit dem die Kandidaten auf eine
                          christliche Scharia eingeschworen werden
                          sollten. Das traf bei Gary Johnson einen Nerv.
                          Schließlich vertritt er die Legalisierung von
                          Prostitution, Trennung von Staat und Kirche,
                          Fristenregelung und eine wohlwollende Haltung
                          gegenüber Schwulen. Und für amerikanische
                          Verhältnisse gewagt: er geht nicht in die
                          Kirche. 
                        Michele
                          Bachmann und Rick Santorum sprangen sofort auf
                          den Zug auf. Und Gary Johnson gab Paroli: In
                          einer scharfen Erklärung geißelte er das
                          Gelöbnis als „anstößig und unrepublikanisch“.
                          „Während der Family Leader Pledge fast jede
                          sogenannte Tugend abdeckt, die ihnen einfällt,
                          gibt es eine, die auffällig fehlt: Toleranz.
                          In einem knappen Dokument schaffen sie es,
                          Schwule, alleinerziehende Eltern, Singles,
                          Geschiedene, Moslems, Schwule im Militär,
                          unverheiratete Paare, Frauen, die sich für
                          Abtreibung entscheiden, und alle, die nicht in
                          ein Bild von Norman Rockwell passen, zu
                          verdammen.“ „Diese Art von Rhetorik ist, was
                          Republikanern einen schlechten Namen gibt.“ 
                        Mit
                          einem Videoclip, von dem jemand auf Youtube
                          meinte, er sei wohl mit einem Budget von zehn
                          Dollar entstanden (die Kosten) führte er noch
                          einmal die Heuchelei vor. Wofür der Family
                          Leader Pledge steht, ist nicht amerikanisch.
                          „Toleranz ist amerikanisch.“ Der Zuspruch ist
                          seitdem groß (der Nutzen) und nun gewinnt die
                          Kampagne an Fahrt. Man darf gespannt sein, wie
                          es weitergeht. Wie die Conservative Daily News
                          Anfang des Jahres formulierten: Gary Johnson
                          könnte der „Sleeper Candidate“ dieser
                          Wahlsaison sein. 
                         
                         
                        Verweise 
                         Gary
                              Johnson 2012: Offizielle Website 
                         
                         
                         
                               
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